Michael Thumsers Kritik im Hochfranken Feuilleton von Anfang Mai 2023 über einen vielsa/eitigen Kunstgenuss:

LIEBEN IST EIN TUNWORT

„Nachklang“ im Wortsinn: Nach der gewaltigen Tschoepe-Retrospektive in der Freiheitshalle erklangen nun im Theater Hof 26 Gedichte von Ingrid Haushofer, zu denen der Künstler lavierte Tuschzeichnungen geschaffen hat, dazu intimes Saitenspiel auf der Gitarre.

Ingrid Haushofer mit dem jungen Gitarristen Jeroen Sigl und Peter Kampschulte vor einer der Wände mit Bildgedichten und Gedichtbildern: Wechselnde Wortgewichte, Gehalte zwischen den Zeilen. (Foto: Michael Thumser)

Von Michael Thumser

Hof, 6. Mai – Schrift war für ihn, den Maler, etwas Besonderes. Peter Michael Tschoepe schrieb gut, im doppelten Sinn: Feinsinnig und wortwitzig, so, wie man ihn als Menschen kannte, hatte er auch stilistisch das Zeug zum glänzenden Formulierer; und seine Handschrift, charaktervoll und unverwechselbar, zeigte elegantes Ebenmaß.

     Ein Beispiel davon ließ sich am Donnerstag in Augenschein nehmen: An einer von zwei schwarzen Stellwänden in der „Kulturkantine“ des Theaters Hof hing, neben 26 lyrischen Bildern Tschoepes und bebilderter Lyrik von Ingrid Haushofer, ein Brief des 2020 gestorbenen Künstlers, den er einst an die in Oberkotzau lebende Dichterin gerichtet hat. Das ist viele, viele Jahre her: Im „Mai 2014“, so ist oben auf dem Blatt vermerkt, ging die Botschaft in die Post, Bezug auf ein Ereignis nehmend, das seinerzeit wiederum „viele, viele Jahre“ zurücklag. Damals, schrieb Tschoepe, „erhielt ich von Ihnen eine Sammlung von Gedichten aus Ihrer Feder. Ich hatte mir vorgenommen, zu den Gedichten einige Begleitbilder (keine Illustrationen!) zu schaffen. Nun habe ich endlich zu Tusche und Farbe gegriffen; das Ergebnis können Sie sehen.“

Zwei beschauliche Extrastunden

Sehen und hören konnten „das Ergebnis“ die Besucherinnen und Besucher eines bild-, sprach- und tonkünstlerischen Abends, den Peter Nürmberger passend als „Nachklang“ zur großen, soeben abgebauten Tschoepe-Retrospektive apostrophierte. Die kaum zu überschauende Ausstellung mit ihren 209 Exponaten (siehe 13. März auf dieser Seite) ist am Dienstag in der Freiheitshalle zu Ende gegangen: Nun ging sie gegenüber, im Theater, noch zwei beschauliche Extra-Stunden lang weiter.

     Für den Künstler sei Schrift immer ein bevorzugtes Gestaltungsmittel gewesen, erläutert Nürmberger, der Tschoepe sowohl als Pressesprecher wie auch als Kulturamtsleiter der Stadt nachfolgte. Oft habe er Beschriebenes und Bedrucktes, am liebsten Zeitungszeiten als Malgrund verwendet. Vielmals integrierte er Schriftzeichen und -zeilen, gestochen leserlich oder absichtsvoll verwischt, in seine Arbeiten. Regelmäßig auch reagierte er mit seiner Kunst auf anderweitig Geschriebenes und Gedrucktes – so wie vor „vielen, vielen Jahren“ auf Ingrid Haushofers Gedichte.

     Und immer wieder auf Musik; darum darf sie auch an diesem Abend nicht fehlen. Anstelle des angekündigten, aber erkrankten Dietmar Ungerank und seiner Lebenspartnerin Ewa Margareta Cyran greift Jeroen Sigl in die Saiten der Gitarre. Sechzehn Jahre alt ist der Ungerank-Schüler erst und hat doch schon bedeutende Preise errungen. Der Idee des gesamtkünstlerischen Programms folgt der Junginterpret technisch imponierend versiert mit Stücken hauptsächlich aus dem spanisch-kubanischen Klangraum, von Isaac Albéniz, Francisco Tárrega und Leo Brouwer, und mit einem verhaltenen Ausdruck von buchstäblich lyrischer Tiefenwirkung.

Lebensweise „Wahrheiten“

Die Lyrikerin selbst, obwohl anwesend, trägt nicht selber vor. In Peter Kampschulte, dem Schauspieler und Gastronomen der „Kulturkantine“, finden ihre Verse einen einfühlsamen, körperlich beherrschten, hingegen in Stimme und Tonart sorgsam modulierenden Rezitator. „Worte sind wertlose Hülsen, die Wahrheit steckt nicht im Gedicht“, heißt es zu Anfang – in aller Bescheidenheit? Oder in bitterer Skepsis? Was folgt, widerspricht beidem zur Genüge. Zu den lebensweisen „Wahrheiten“ Haushofers gehört die Hoffnung ebenso wie die Vergänglichkeit, Märchenhaftes (aus „Froschkönig“, „Rotkäppchen“, „Dornröschen“) neben umso realeren „Schuttbergen unseres Beziehungsgerümpels“, die Erdenschwere so gut wie die Leichtigkeit des Himmelslichts und, im Kosmos, die „Schwärze“, die nichts und niemand „auszuloten“ vermag.

     Wie immer bei Gedichten fällt, wo sie nur ein Mal vorgelesen werden, das Verständnis nicht leicht. Konzis und reif, nie dramatisch oder auch nur farbgesättigt, gleichwohl stets anschaulich klingt Haushofers Poesie, aber freilich lässt sie sich mit keiner bündigen Prosa greifen und begreifen oder gar platt übersetzen. Andererseits gehört keine Zeile davon jener zweifelhaften Sorte sogenannter ‚hermetischer Lyrik‘ an, die sich durch radikale Fremd- und Dunkelheit jedem Durchblick entzieht. Immerhin so weit reicht ihre Offenheit, dass umgekehrt der Leser, die Hörerin sich ihr leicht zu öffnen vermag: ihren Atmosphären und Gestimmtheiten, den Gemüts-Klimaten und Symbolen aus Natur und Jahreslauf, den wechselnden Wortgewichten und den Gehalten zwischen den Zeilen.

     Als ‚lyrisches Du‘ spricht die Autorin, noch in den Liebesgedichten, nicht eigentlich den Mann oder gar den Gatten an, sondern überhaupt den Nächsten und Nebenmenschen, womöglich die Menschheit. Dem „Du“ begegnet sie, die „Herzstreicherin“, mit einer „Sehnsucht“, die einmal im „Hunger nach deiner Haut“ Erfüllung findet; und ein andermal „wundlöchrig“ geworden ist, als verbrauchte „blaue Hülle“ ums ‚lyrische Ich‘.

„Grammatik des Herzens“

Der „Grammatik des Herzens“ – in der sich das Wort lieben als „Tunwort“, als Aufruf zum Handeln, erweist – folgen die Arbeiten Tschoepes. „Begleitbilder (keine Illustrationen!)“: Schnell hat der Künstler sie mit Feder und Tusche aufs Papier geworfen, hat sie mit energischen Streifen, Feldern, Flecken in Wasserfarben laviert, ansonsten aber absichtsvoll unelaboriert gelassen. Als Variationen zum intuitiv nachempfundenen Thema entstanden sie, aus autonomem Abstand als dynamische Verwandlungen eines Wortes hier, einer dichterischen Impression da, eines poetischen Fluidums dort.

    Ein Schmetterling, eine Herzkontur tauchen per Beamer auf einer Projektionswand auf, ein Vogelwesen („Schwalbe“ oder „Hahn“?), Mondsichel und Sterne, auch Fußabdrücke, deren Ränder und Farbfüllungen sich überlappen … Nicht zuletzt aber ergeben sich, gleichsam improvisiert, Szenen menschlicher Konturen: Figuren in einer Nacktheit ohne Anzüglichkeit und Frivolität, sondern zurückbezogen aufs Kreatürliche. Einer der „vielen, vielen“ Tuschpunkte, -tropfen, -kleckse sitzt einer weiblichen Gestalt wie ein Schrei mitten im Gesicht; meist aber stehen Personifikationen von Mann und Frau wie lauter Adams und Evas beieinander. Einer der Texte imaginiert denn auch ein „Paradiesgärtlein“ mitsamt dem mythischen „Einhorn“, dem lauteren Symbol für Reinheit und tugendhaftes Christentum.

     „Es ist alles gesagt“, behauptet eine von Haushofers Zeilen. Wo aber die Worte „schweigen“, tritt nicht selten im Leben ein Schau- oder Tonstück in seine Rechte. An diesem Abend auch, und es stimmt alles zusammen: Sprach-„Bilder einer Ausstellung“ in einer Galerie aus Versen. – Michael Thumser für Hof, Hochfranken-Feuilleton, Mai 2023 (online)

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